Die Entwicklungen in der Ukraine haben während der vergangenen Wochen oft die Tagesmeldung dominiert. Gerade erst zeigt sich erneut eine massive Bewegung und vielleicht auch Wende in diesem umstritten Land ab. Und auch wenn mein persönliches Interesse an den Entwicklungen eher privat motiviert ist, so denke ich doch, dass diese Entwicklungen insgesamt wichtig sind. Ich ahne, dass wir hier etwas beobachten, was noch sehr weite Kreise ziehen wird.

Die Lämmer haben sich erhoben. Sie haben den Zaun nieder gerissen, sind ausgebüchst. Was weiter?

Bedeutungsschwanger hängen diesen Abend die Worte Timoschenkos im Raum: „schon bald wird sich die Ukraine der EU anschließen“. Nehmen wir einmal davon Abstand, dass dies wohl keine Entscheidung sein wird, die in der Ukraine getroffen wird. Und dass das wohl definitiv nicht der Verdienst einer Julia Timoscheko sein würde. Oder auch davon, dass das jetzt nicht mehr ist, als ein reisserischer Satz, einer Menge hingeworfen, die sich nach pro-westlichen Parolen sehnt, nachdem die nationale Politik sie so demonstrativ im Stich gelassen hat. Und auch davon, dass diese Füchsin, die sich immer so gewandt herauszuwinden vermochte, zuvor zurecht verurteilt wurde, weil sie selber ihr Volk verraten und im großen Stil in die eigene Tasche gewirtschaftet hat.
Dennoch scheint es mir, als ob dieser Satz die volle Wahrheit enthalten könnte.
Ich denke, die Ukraine wird extrem bald der EU angegliedert werden, ob das nun gut oder schlecht ist.

Tatsächlich ist der heutige Umschwung in der Ukraine (so er denn währt!) die größte Niederlage, die für die russischen Interessen in der Ukraine denkbar gewesen wäre. Massiver russischer Interessen in Politik und Wirtschaft. Moskau hat die Ukraine lange als direktes Einflussgebiet betrachtet. Eine Geflecht aus millitärischen, politischen und wirtschaftlichen Interessen macht diesen Punkt zu einer essenziellen Frage für das russische Selbstverständnis. Die russische Mehrheit auf der Krim, die Häfen der russischen Schwarzmeerflotte, Gaslieferungen und andere Details sind Realitäten, die für sich stehen.
Die massive russische Intervention der vergangenen Wochen und Monate gegen den zaghaft west-gerichteten Dialog der Ukraine hat konkrete Gründe. Auf der Seite der russischen Macht-Elite gibt es massive Angst vor einem Übergriff der pro-westlichen Stimmungen. Gerade wegen der traditionell engen Beziehungen „der drei großen russischen Städte“ Moskau, Sankt Petersburg und Kiev scheint die Dämmerung in der Ukraine ein flackerndes Licht auf russisches Territorium zu werden. Flackernd nur, aber sichtbar. Was wird die „russiche Seele“ tun? Was passiert, wenn die Menschen in Russland unruhig werden? Wer will schon ewig der Vergangenheit überlassen bleiben, wenn alles um ihn herum diese Fesseln abstreift?

Aber einmal anders herum gefragt: was wird „der Westen“ tun, wenn die Unruhen auf Russland übergreifen? Was wird im Osten geschehen? Wir spekulieren hier über eine globale Revolution, über nichts anderes. Ist diese denkbar? Ist diese wahrscheinlich? Ich weiß es nicht. Aber die russischen Machthaber sind ganz offensichtlich extrem nervös. Und das wird seine Gründe haben.
Gerade hat Putin (und Co? eher nicht… (wer schon)) eine schallende Ohrfeige erhalten. Ihre Versuch, die Ukraine fernzusteuern, ist gescheitert. Ihre Marionette, ausgerechnet Janukowitsch, der ja zuvor in Moskau in Ungnade gefallen war, konnte sich nicht halten. Und dies ausgerechnet, nachdem die russische Seite nach massivem und hartem Zuschlagen gegen jegwede Opposition in der Ukraine verlangt hatte. Offiziell verlangt hatte. Befohlen hatte. Und diese Befehle letztlich von den machtausübenden Gewalten in der Ukraine nicht befolgt wurden. Eine bittere, aber eben klare Niederlage.

Es ist eine persönliche Niederlage Putins. Nicht die erste wirkliche Niederlage Putins, aber eine schmerzhafte, weil öffentliche. Was wird der in die Enge getriebene Wolf tun?

Meine Meinung: der Wolf wird abwarten. Und dann zuschnappen, sobald sich eine Gelegenheit ergibt. Das ist seine Natur. Er wird nicht offen angreifen mit seinem Rudel. Sondern sich im Schatten bewegen und Angst verbreiten. Seine Aura wirken lassen, dass, was ihn so gefürchtet macht. Seine permanente Präsenz. Seine implizite Drohung, spürbar selbst dann wenn er selbst nicht sichtbar ist. Putin wird nicht die Ukraine besetzen. Aber ganz sicher wird er die Niederlage nicht einfach hinnehmen. Das kann er nicht, damit würde er sich innenpolitisch massiv schwächen. Er wird keinen offenen Angriff auf die Lämmer auf der Waldlichtung wagen. Wahrscheinlich würde er damit sogar durchkommen, einfach weil der Rest der Welt kein wirkliches Interesse an einer Konfrontation hat. Schon jetzt sieht man ja dass der Westen mehr darauf schaut, seine Energielieferungen nicht zu verteuern und Wachstumsstrategien nicht zu gefährden. Nicht für ein Land, dass selbst sehr zögerlich nur offensichtlich notwendige Reformen angegangen ist. Erst recht nicht für die Menschen in diesem Land. Und diese werden es natürlich auch sein die man später als bedauernswerte Verlierer betrachtet: zwischen die Fronten geraten, zerrieben, weggeschoben. Der Wolf wird kein ganzes Lamm reissen, aber sich ein Mahl schmecken lassen, dass er aus der Flanke eines Lamms heraus gerissen hat. Denn mehr als das panische Blöken der Mutteschafe hat er kaum zu befürchten.